Anti-Aging
Solo exhibition
at Delphi Space, Freiburg
07 Oct 2023 - 29 Oct 2023
Curated by Marie-Sophie Himmerich
Exhibition text by Olga Hohmann
Documentation by Lidong Zhao
Anti Aging
Ausstellungstext von Olga Hohmann
Ein Gefäß definiert den Inhalt ebenso wie der Inhalt sich im Gefäß abzeichnet. Manchmal sogar dann, wenn das Beinhaltete seine Umschließung schon wieder verlassen hat. Es bleiben kleine Überreste an den Seiten kleben, winzige Spuren, die davon zeugen, dass das Gefäß mal eine Funktion hatte – die es, unbefüllt, nun nicht mehr zu haben scheint.
Manchmal formt die Flüssigkeit ihre künstliche Haut auch erst, so wie bei der Milchtüte, die, in leerem Zustand, schlapp in sich zusammenfällt. Wenn man sie nicht schnell genug entsorgt, fangen die Container an, ranzig zu riechen, die Haut wird den Körper, den sie einst umschloss, nicht ganz los, selbst wenn der Körper sich von seiner Haut emanzipiert. Denn: Was ist ein Gefäß ohne seinen Inhalt? Es kommt einem doch eher vor wie eine leere Schlangenhaut, etwas, das das Geschöpf abgelegt hat, um sich weiterzuentwickeln.
Wenn Schokolade (in ihrer Verpackung) schmilzt – und dann wieder fest wird – nimmt sie die Form der Verpackung selbst an. Genießbar ist sie nun weniger, das Einbrennen ihrer Ummantelung in die Materie hat sie ihrer Qualität beraubt. Normalerweise ist es also ein schlechtes Zeichen, wenn die Verpackung im Verpackten sichtbar wird. Das nun in seinem Inhalt gespeicherte Gefäß (es hat sich „eingebrannt“) senkt den Wert der geschmolzenen Materie, erklärt sie eigentlich zu etwas wertlosem, Müll.
Manchmal lecke ich das goldene Papier ab, in das sich der Nougat-Trüffel eingebrannt hat – ebenso wie (es ist eine Kontroverse seit Jahrzehnten ob diese Praxis krebserregend ist) den Joghurtdeckel. Zu meinem letzten Geburtstag schenkt ein Freund mir ein Instrument, mit dem man die Reste aus Dosen entfernen kann – eine Art Stil mit einem Plastik-Sauger vorne dran, den Eigennamen kenne ich bis heute nicht. Ich benutze es regelmäßig, nie entlässt es mich ganz befriedigt – dem Begehren, etwas vollständig zu entleeren, wird man selbst mit Hilfsmitteln kaum gerecht.
Aber: Was hat es mit dieser zweiten „Haut“, dem Gefäß, auf sich? Wie sehr braucht das Beinhaltete jene, ganz spezifisch gestaltete, Ummantelung um zu einem Produkt zu werden?
Und: Wie kann das Gefäß selbst Autonomie erlangen? Wie kann es zu etwas werden, das seinen Inhalt nicht benötigt um „etwas“ zu sein? Wie wird es sichtbar? Und wie reflektiert das wiederum auf jenen Inhalt selbst?
Dass es sich bei Jakob Forsters Arbeiten um eine Kontemplation auf die Beziehung zwischen Gefäß und Inhalt handeln könnte, erfährt man erst auf den dritten Blick – und es ist keine Voraussetzung dafür, dass sie einem einen Zugang eröffnen. Man sieht Zeichnungen, Bronzen und eine Malerei – die Ausstellung trägt den Titel „Anti Aging“.
Völlig unabhängig von der Herkunft ihrer Beschaffenheit, haben die Bronzegüsse, weil sie eher klein sind, die Anmutung eines Schmuckstückes. Sie sind auf enigmatische Weise attraktiv - ziehen einen von Weitem an. Schmuckstücke sind gerade in ihrer Fragilität, in ihrem Charakteristikum, etwas Zierliches zu sein, wertvoll.
Jakob Forsters Bronzearbeiten haben außerdem fast architektonischen Charakter. Man meint die Struktur eines Gebäudes zu erkennen, Fenster unter einem Dach, vielleicht ein Modell – dann verliert sich die Assoziation wieder. Die Arbeiten sind häufig symmetrisch, sie erinnern an Abbildungen der Erde von oben, an von Menschen angelegte Landschaften, dann verliert sich auch jene Assoziation erneut. Die Objekte lassen einen auch an Waffen denken, an Patronenhülsen oder Einschusslöcher – ebenfalls eine Assoziation, die nur einen Moment lang bleibt. Das Betrachtete wird konkret – und dann direkt wieder verwischt, durch eine andere Konkretheit. Ein Vexierbild, das Fehlen des Geheimnisses wird hier zu einer Form der Verschleierung.
Das Geheimnis der Arbeiten enthüllt sich nicht auf den zweiten Blick, sondern erst auf den dritten oder vierten und verhüllt sich dann erneut (mit sich selbst, wie eine Banane). Die Arbeiten verlieren ihre poetische Qualität nicht dadurch, dass man der Pointe auf die Schliche kommt – im Gegenteil, sie spannen sich (in ihrer Bedeutung) auf, breiten sich aus, ohne sich zu verschwenden oder zu verschütten. Sie verrätseln sich selbst und bleiben dabei direkt. Trotzdem sind sie irgendwie auch tasty (ebenso wie eine Praline – oder ein Schmuckstück). Die Objekte sind nun, als Kunstwerke, an sich attraktiv – eine Emanzipation des Gefäßes von dem, was es umfasst – in der Warenwelt fast unmöglich, in der Kunst möglich.
Der auf Jute-Leinwand abgebildete, stark vergrößerte Coffee-To-Go Becher, die einzige Malerei, wirkt in seiner karierten Musterung fast wie ein Fashion-Item, ein Gimmick, das auch Status manifestiert, ein Klassiker des guten Geschmacks. Ganz im Gegenteil zu den bedruckten Kaffeebechern für unterwegs, die ebenfalls in einem spezifischen Kontext zu lesen sind, der mit scheinbarem Fortschritt zu tun hat: Ökonomische Zeiteinteilung als Voraussetzung für schnell erbrachte Leistungen. Der Pappbecher ist hier aber in einer eher bescheidenen Variation eingefangen – es ist einer derjenigen Coffee-To-Go Becher, die an jedem Kiosk erhältlich sind und normalerweise starken, bitteren Filterkaffee enthalten.
„Anti Aging“, der Titel der Ausstellung, ist ein alt gewordener Begriff (so wie die Haut, die er verjüngen soll): Heutzutage steht auf den Etiketten der nachhaltig verpackten Hyaluron- und Collagensäuren „Pro Aging“. Ein affirmatives Verhältnis zum Altern zu entwickeln ist eine Verkaufsstrategie, ebenso wie der RECUP (der nachhaltige Nachfolger des Pappbechers) nun zum erhöhten Kaffeekonsum verleitet – man kann (und soll) das Gefäß immer wieder befüllen lassen.
Der Umgang mit Hüllen, die sich selbst verhüllen ist auch ein Nachdenken über Zeit. Es ist nicht nur das Alter, das sich in der (faltigen) Haut zeigt, auf die der Titel der Ausstellung anspielt, es ist auch die (Arbeits)Zeit, die der Künstler aufbringt, um jene Arbeiten anzufertigen – ebenso wie die Zeit der Arbeiter:innen, die jene Pralinenschachteln herstellen. Es sind die Pralinen selbst, die weiß anlaufen, wenn man sie nicht vor dem Ende ihrer Halbwertszeit aufisst – oder wenn sie trocknen, nachdem sie geschmolzen sind.
Glühbirnen haben, ebenso wie einige Lebensmittel und viele andere Gebrauchsgegenstände, eine so genannte ökonomische Obsoleszenz, das heißt, eine ihnen eingebaute Halbwertszeit, ein konzipierter Alterungsvorgang. Jakob Forsters „Anti Aging“ stellt eine Art Gegenmodell dar. Der Künstler macht Einzelstücke aus den in Massenproduktion hergestellten „Containern“, die schon in ihrer Produktion zukünftigen Müll repräsentieren. Die Frage nach dem Verhältnis von Arbeit und Wert verändert sich radikal dadurch, dass die Handlung innerhalb der Sphäre der Kunst stattfindet – ein Kunstwerk ist natürlich immer mehr als „gespeicherte Arbeit“.
Mit dem Begriff des „Gefäßes“ assoziiert im Deutschen ein Blutgefäß, etwas Organisches also. Die Gefasstheit wiederum assoziiert man mit bürgerlicher Etikette, die Contenance bewahren. Self-contained-ness impliziert, dass jemand, abschätzig ausgedrückt, full of themself ist. Full of themself, das heißt, voll, aber nicht übervoll – randvoll.
„Wenn ein Tropfen das Gefäß zum Überlaufen bringt, so läuft immer mehr heraus als dieser Tropfen“ schreibt Georg Simmel und stellt damit die These auf, dass die Flüssigkeit, die aus dem Gefäß rinnt, nie allein bleibt – ihm folgen immer weitere Tropfen, ein Kontrollverlust (über die Körperflüssigkeiten), der Mensch (das ultimative Gefäß) verliert die Contenance, es frisst die ganze Packung Pralinen allein auf.
Pralinen sind Geschenkartikel – die generischste Form unter den Geschenken, ebenfalls schon im Moment ihrer Herstellung zukünftiger Müll (oder zumindest ein Staubfänger). Man kriegt Pralinenschachteln heutzutage meistens von Arbeitgeber:innen, nicht selten auch zur Kündigung. Fast nie werden sie von der Beschenkten selbst verzehrt, fast immer werden sie (mit den Kolleg:innen) geteilt – wenn nicht sogar (an andere Arbeitnehmer:innen oder die Familie) weiterverschenkt. Ein Kollege brachte einmal riesige Schachteln Pralinen mit zur Arbeit, weil seine Partner:in (die Beschenke) sie „nicht Zuhause haben wollte“ – sie sind eine Versuchung, an der man nur scheitern kann.
Die richtige, gesunde, Anzahl Pralinen zu verzehren ist unmöglich, es bleibt einem entweder ein pappig-süßer Geschmack auf der Zunge (und ein Schuldgefühl, dem eigenen Körper gegenüber) oder, wenn man sich doch beherrscht- und nicht die ganze Packung aufgegessen hat, ein Verlangen, das nie ganz erfüllt ist, ein angeregter Speichelfluss, ein Teaser des Begehrens, in dem man ohnehin nie ganz auf seine Kosten kommt. Only domesticated animals overeat, wild animals don’t.
Dass man den Mund nicht voll genug bekommt, scheint also an der Logik des Konsums zu liegen – das heißt, ebenso an den Gefäßen, den Verpackungen der Produkte, wie an dem Inhalt, dem Produkt selbst. Wenn auch nur ein einziger Tropfen überläuft, wie Georg Simmel es beschreibt, dann fließt der Rest meistens gleich hinterher. Auf den subtilen Kontrollverlust folgt die endgültige Entgleisung.
Ich erinnere mich an eines der populärsten Spiele bei Kindergeburtstagen, es kommt mir vor wie eine Reminiszenz der Nachkriegszeit: Schokolade essen. Es geht so: Alle Kinder versammeln sich um einen Tisch, in dessen Mitte ein großes rechteckiges Päckchen liegt. Man nimmt an, dass es sich bei dem rechteckigen Paket um eine in Zeitungspapier eingewickelte Tafel Schokolade handelt. Neben dem Paket sind ein stumpfes Frühstücksmesser, eine Gabel und zwei Würfel platziert. Auf einem der Stühle liegen eine Daunenjacke, eine Mütze, ein Schal und zwei Fäustlinge. Nach der Reihe würfelt jedes Kind. Wenn es einen Pasch gewürfelt hat, zieht es sich, so schnell es kann, Daunenjacke, Fäustlinge, Schal und Mütze an und bearbeitet hektisch, mit dem (offensichtlich dafür ungeeigneten) Besteck, das Paket. Die anderen Kinder würfeln weiter reihum. Wenn das nächste Kind zweimal die gleiche Zahl gewürfelt hat, entreißt es dem gerade auspackenden Kind die Winterklamotten, wirft sich hinein und stürzt sich wieder mit dem dafür ungeeigneten Besteck auf das kaum beschädigte Paket. So geht es weiter, bis sich die Zeitungsschichten Stück für Stück abgetragen haben. Die Kinder packen sich selbst ein um dann die unsichtbare Süßigkeit auszupacken.
Ich erinnere mich lebhaft an die gierige Eile und an die herumfliegenden (und später herumliegenden) Zeitungsfetzen, aber ich erinnere mich nicht daran, jemals die Schokoladentafel im Kern des riesigen Paketes erreicht zu haben. Es ist irrelevant, ob sich im Inneren Schokolade befand – es geht allein um die Aufrechterhaltung des Geheimnisses.
Obwohl ich also mich nicht daran erinnern kann, beim Schokolade essen jemals Schokolade gegessen zu haben, habe ich direkt einen süßlich-milchigen Geschmack auf der Zunge, wenn ich an das Spiel denke. Wie beim Pawlowschen Reflex antizipierte mein Geschmackssinn während des Spielens die ganze Zeit das unerreichbare Produkt und mein Speichel fing schon bei der Betrachtung des Zeitungspapier-Paketes an zu fließen. Durch die Unerreichbarkeit der Süßigkeit verlängerte sich die durch sie ausgelöste Gaumenfreude ins Unendliche – das wahre Vergnügen auf der Zunge fing nie an, deshalb war es auch nie zu Ende.
Jakob Forster Arbeiten funktionieren auf eine ähnliche Weise. Sie verschleiern ihre Direktheit nicht, das heißt (zum Beispiel), ihre Referenz – im Gegenteil: Sie verschleiern sich durch ihre Direktheit. Transparenz fungiert als Hülle. Sie erfüllen ihr Versprechen nie ganz – und bleiben darin unerschöpflich – und tasty.
(Großen Dank an meine Freundin Sophia Eisenhut für den Hinweis darauf, dass auch der menschliche Körper ein Gefäß ist)
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